Am 16.05.2015 erschien in der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) ein Interview mit Hans-Peter Bartels.

 

Osnabrück. Kommende Woche wird Hans-Peter Bartels als neuer Wehrbeauftragter vereidigt. Zuvor blickt der SPD-Politiker zurück auf seine Amtszeit als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestags. Im Interview erklärt er, warum der Konflikt in der Ukraine kaum mit Waffen zu lösen sein wird, weshalb die USA zu einer frustrierten Weltmacht geworden sind und wie weit die EU auf ihrem Weg zu einer gemeinsamen Armee bereits gekommen ist.
Herr Bartels, die Kämpfe in der Ukraine gehen weiter. Droht ein sogenannter gefrorener Konflikt?
Bei meinem Besuch in Kiew Ende April hatte ich den Eindruck, dass man dort sehr nervös ist und mit einer Offensive der Separatisten unterstützt von russischen Kräften in den nächsten Wochen rechnet. Ein eingefrorener Konflikt wäre so fast schon das Beste, auf das wir hoffen können.
Müssen wir die Sanktionen gegen Russland verschärfen?
Solange der Waffenstillstand permanent gebrochen wird und nicht erkennbar ist, dass die Ukraine wieder Kontrolle über ihre Staatsgrenzen erhält, gibt es keinen Anlass, die Sanktionen aufzuheben. Russland muss ein Interesse daran haben, sich nicht selbst zu schaden und sich in der Weltgemeinschaft nicht selbst zu isolieren. Das ist der Zweck der Sanktionen: Russland an seine eigenen Interessen zu erinnern. Wir wollen nicht, dass sich die Lage verschärft. Wenn doch, hätte das zur Folge, dass sich auch die Sanktionsfrage neu stellt.
Die USA debattieren darüber, Waffen nach Kiew zu liefern. Ist das der richtige Weg?
Bisher gibt es nur einen Beschluss des Kongresses, die Obama-Regierung hat sich noch nicht entschieden. Die europäische Haltung ist es auf jeden Fall nicht zu glauben, dass der Konflikt mit Waffen zu lösen wäre. Käme es aber zu dem Szenario, dass das Minsk-Abkommen gegenstandslos wird, weil es nicht nur punktuell Verstöße gegen den Waffenstillstand gäbe, sondern einen Vormarsch an der gesamten Front – dann allerdings glaube ich nicht, dass europäische Regierungschefs noch mal nach Moskau reisen. Dann hätten die Auftrieb, die nach Waffen rufen.
Minister Steinmeier versucht seit Monaten, den Konflikt mit Diplomatie zu lösen. Sind wir zu nachsichtig mit Putin?
Nein. Diplomatie ist besser als Eskalation. Aber Vereinbarungen müssen eingehalten werden. Außenminister Steinmeier und Kanzlerin Merkel haben bemerkenswerte Geduld bewiesen, auch persönlich. Sie haben die Erfahrung gemacht, immer wieder angelogen zu werden von ihren russischen Gesprächspartnern. Aber ohne strategische Geduld wird es nicht gehen.
Anderes Thema: Sie fordern ein militärisches Hauptquartier der EU in Brüssel. Ein gemeinsames Anti-Terror-Zentrum soll es bald geben. EU-Kommissionschef Juncker hat eine EU-Armee ins Spiel gebracht. Warum wäre das sinnvoll?
Damit ist Juncker nun auf der Linie, die auch unsere schwarz-rote Koalition in ihrem Koalitionsvertrag beschreibt. Wir wollen uns auf den Weg machen zu einer gemeinsamen europäischen Armee. Dafür brauchen wir jetzt schon viel multinationale Zusammenarbeit. Am besten wäre, wenn wir als koordinierendes Dach darüber ein europäisches militärisches Hauptquartier hätten für alle 28 EU-Staaten, von denen übrigens 22 auch Mitglied der Nato sind. Das heißt, wir stärken damit auch die Nato.

 

Man könnte aber auch sagen, dass eine solche Armee in Konkurrenz zur Nato stünde.
Das Argument wird von unseren britischen Freunden immer wieder vorgebracht, früher auch von den USA. In letzter Zeit aber höre ich das weniger. Jetzt heißt es immer öfter, die Europäer sollten effektiver werden. Und das kann man nur, wenn man sich besser organisiert.
Also Doppelstrukturen abschaffen?
Genau! Diese Doppelstrukturen haben wir in den 28 Armeen der EU-Nationen, die viel zu viel parallel machen. Aber an der Spitze ist ein Loch. Es gibt ein transatlantisches Nato-Hauptquartier in Europa, es gibt auch ein US-Hauptquartier in Europa. Warum sollte es nicht ein europäisches Hauptquartier in Europa geben? Für die Nicht-Nato-Mitglieder der EU wäre das übrigens kein Problem. So suchen beispielsweise Schweden und Finnland gerade jetzt die Nähe der Nato.
Die USA werden aber wohl nicht so begeistert sein. Warum sollte man das riskieren?
Aus Gesprächen mit US-Partnern kann ich nur sagen, dass dort aktuell niemand Bedenken hat, weder im State Departement noch im Pentagon, weder im Repräsentantenhaus noch im Senat. Man sagt vielmehr: Alles, was die EU effektiver macht, hilft auch den USA. Amerika wird nicht in allen Weltregionen in gleicher Intensität für Sicherheit garantieren können. Wir Europäer müssen also mehr Verantwortung in unserer unmittelbaren Nachbarschaft übernehmen. Diese Erwartung haben die USA an uns. Und das schulden wir uns auch selbst.
Heißt das: Adieu, Weltpolizei USA?
Die USA sind eine etwas frustrierte Weltmacht nach ihren durchwachsenen Interventionserfahrungen der letzten Jahre. Und ihre Herausforderungen sind inzwischen eher noch größer geworden.
Und dann brauchen sie uns als Hilfssheriffs?
Eher als Partner – insbesondere in Europas südlicher und östlicher Nachbarschaft. Dazu muss uns aber niemand antreiben. Europa ist selbstbewusst genug, ein eigenständiger Akteur für Frieden und Sicherheit sein zu wollen.
Verteidigungspolitik war lange kein Thema für die EU. Gegen wen muss sich Europa – angetreten als Friedensgemeinschaft – verteidigen? Gegen Russland? Islamistischen Terror?
Wir rechnen nicht mit Krieg. Aber was jetzt Not tut, ist die verteidigungsbereite Präsenz in Europa gegen jede denkbare Aggression zu verbessern. Nach dem bewährten Motto „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.“ Wir wollen, dass unsere osteuropäischen Bündnispartner in Nato und EU keine Angst haben müssen vor der Einschüchterung durch große Nachbarn.
Welchen Beitrag könnten die Deutschen dazu leisten? Nach dem Debakel mit dem Sturmgewehr G 36 oder anderen Mängeln in der Ausrüstung scheint die Bundeswehr kaum bereit zu sein für weitere Aufgaben. Oder?
Alles lösbare Probleme. Zum Teil sind das Probleme, die andere gern hätten. Im europäischen Vergleich steht Deutschland immer noch herausragend gut da.
Auch gegen Cyberattacken sind wir offenbar wenig gerüstet. Was brauchen wir, um uns zu wappnen?
Offiziell würde jetzt bestimmt bestritten, dass wir da Probleme haben. Wir brauchen aber mit Sicherheit mehr Personal und mehr Kapazitäten. Und auch einen gewissen Wandel der Philosophie. Die Maxime „Alles vernetzen, am besten nur noch ein System haben“, macht das Ganze so anfällig, dass es geradezu einlädt, mit digitalen Operationen lahmgelegt zu werden.
Obwohl ja gerade die unterschiedlichen Systeme auch Schwierigkeiten bereiten, etwa beim Datenabgleich zwischen den Behörden.
Das stimmt. Aber man muss nicht alles, was analog existiert, noch mal digital neu erfinden. Es hat schon seinen Vorteil, wenn man mal ein Kabel legt. Wer das abhören will, muss da körperlich hin. Also: nicht alles Analoge wegwerfen, wenn es noch funktioniert. Je vernetzter die Technik, desto teurer die digitalen Maßnahmen sie zu schützen – und schon haben wir ein Wettrüsten im Cyberbereich.
Immer wieder wird vermutet, dass sich auch Islamisten von der Bundeswehr ausbilden lassen. Gibt es dazu neue Erkenntnisse?

 

Dazu gab es im Verteidigungsausschuss einen Bericht des Militärischen Abschirmdienstes MAD, der insgesamt etwa 20 solche Fälle aufgedeckt hat. Das hat dann auch zu Entlassungen geführt.
War es denn richtig, die Wehrpflicht abzuschaffen? Sie selbst wurden ja noch eingezogen. Inzwischen schlägt bei der Truppe der Fachkräftemangel durch.
Jedenfalls hätte man nicht Hals über Kopf aus der Wehrpflicht aussteigen dürfen. Es gab ja kein Konzept für danach. So, wie die Wehrpflicht damals konstruiert war – Sechsmonatsdienst und eine Ausmusterungsquote von 50 Prozent angeblich „Untauglichen“ –, war sie allerdings unhaltbar. Die schwarz-gelbe Koalition hat sie sehenden Auges an die Wand gefahren. Jetzt wird mühsam daran gearbeitet, wie man zu einem einheitlichen Personalwerbekonzept kommt.
Nächste Woche werden Sie als Wehrbeauftragter vereidigt. Wenn Sie auf Ihre Amtszeit als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses zurückblicken: Was war das schwierigste Thema, die knifflige Entscheidung?
Das Schwierigste, weil extrem langwierig war die Attraktivitätsverbesserung der Bundeswehr. Ich glaube, ich habe erstmals 2005 ein Papier dazu veröffentlicht. Auch andere haben lange Druck machen müssen. Jetzt erst kommt die Umsetzung.
Was war das Beste?
Ganz eindeutig das Thema Europäisierung. Da ist wirklich Schwung reingekommen, durch den Koalitionsvertrag und durch die Bundeswehrführung, die mit Überzeugung in diese Richtung geht. Dazu gehört die vorbildliche Zusammenarbeit des deutschen und des niederländischen Heeres, die in der Perspektive fast fusionieren. Das ist beispielhaft in Europa. Viele fragen nun, ob sie in dieser Weise auch mit uns kooperieren können. Es wächst die Fantasie, wie Kooperation in Europa konkret gehen kann. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir alle mit den gleichen zusätzlichen Krisen zu tun haben. Die Lösung liegt in der Zusammenarbeit.
Was werden Sie vermissen?
Wahrscheinlich die Freiheit des Parlamentariers, sich mit wirklich jedem Thema öffentlich auseinandersetzen zu können – auch jenseits der Verteidigungspolitik. Weniger vermissen werde ich manche unfruchtbaren Diskussionen, bei denen Anwesenheitspflicht herrschte. Unterm Strich aber kann ich sagen: Es ist eine super Sache, Bundestagsabgeordneter zu sein, ich kann es empfehlen! Man kann wirklich was bewegen – immer mit anderen gemeinsam. Das Amt des Wehrbeauftragten bringt da eine neue Perspektive, aber mit einer ähnlichen Aufgabe: nämlich nach dem Grundgesetz parlamentarische Kontrolle auszuüben und unmittelbar Ansprechpartner der Soldaten zu sein für jede Art von Beschwerden, die sie vorbringen wollen.
Beschwerden sind ein gutes Stichwort. Sie werden konfrontiert mit einer Truppe, die schlecht ausgerüstet und unzufrieden ist. Mal ehrlich: Ein Traumjob ist der Wehrbeauftragte nicht, oder?
Ich erlebe es schon, dass die Erwartungen an den Wehrbeauftragten in einer sehr freundlichen Weise hoch sind. Die Bundeswehr ist aber auch eine Institution mit einem hohen öffentlichen Stellenwert. Die Soldaten haben ein gutes Ansehen. Trotzdem haben Sie recht, es gibt reichlich Probleme. Und ich bin ganz froh, dass die Große Koalition sie in dieser Wahlperiode angeht und nicht nur unter den Teppich kehrt.
Frau von der Leyen hat ein schweres Erbe angetreten.
Ja, das weiß sie auch.
Was wird das Erste sein, das Sie als Wehrbeauftragter tun? Von der Bundesregierung einen höheren Wehretat fordern?
Ich werde einige Truppenbesuche machen, auch im Ausland. Und Sie können sicher sein, dass ich Vorschläge machen werde, die helfen können, das Ziel einer attraktiven, leistungsfähigen Bundeswehr mit weniger Unzufriedenheit im Dienst zu verwirklichen.

 

 

Ein Artikel von Melanie Heike Schmidt

 

– Künftiger Wehrbeauftragte im Interview: Bartels: „Ohne strategische Geduld wird es nicht gehen“ | noz.de – Lesen Sie mehr auf: http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/575437/bartels-ohne-strategische-geduld-wird-es-nicht-gehen